Detektive klären auf
Was es braucht, um den eigenen Tod vorzutäuschen
Kronen Zeitung – Peter Wiesmeyer, Sa., 26.08.2023
Für die meisten wäre es völlig unvorstellbar. Vor allem aus moralischer und zwischenmenschlicher Sicht, aber auch der daran geknüpften finanziellen und rechtlichen Probleme wegen. Trotzdem wirft der mysteriöse Flugzeugabsturz in Russland, der Wagner-Chef Prigoschin das Leben gekostet haben soll, einmal mehr die Frage auf: Kann man (s)einen Tod vortäuschen? Die „Krone“ bat Detektive um Antworten.
11. Jänner 2009, in der Nähe von Birmingham, Alabama. Ein Mann setzt aus seinem Turboprop-Flieger einen Notruf ab: Seine Windschutzscheibe sei implodiert, er selbst „blute stark“. Dann reißt die Verbindung ab. Das Flugzeug kracht schließlich in ein sumpfiges Gelände im Norden Floridas, verfehlt nur knapp einige Häuser. Als die Ermittler eintreffen, finden sie weder Blut noch eine beschädigte Windschutzscheibe vor.
Wie sich herausstellt, hatte der „Vogel“ nach dem Notruf eine 320-km-Tour per Autopilot fortgesetzt. Weil der Pilot Marcus Schrenker mit einem Fallschirm abgesprungen war, auf ein tags zuvor in Harpersville, Alabama, geparktes Motorrad umsattelte und samt Geld- und Vorratstaschen flüchtete.
Wovor? Vor den Scherben seines Lebens. Wegen schwerem Wertpapier-Betrug drohte die Verhaftung, die Ehe lag in Trümmern. Also wollte sich der millionenschwere US-Anlageberater absetzen, woanders neu anfangen. Was schief geht. Drei Tage nach dem Crash wird Schrenker auf einem Zeltplatz festgenommen – und letztlich doch für zehn Jahre eingebuchtet.
(Ab-)Leben wie im Film
Hollywoodreife Fälle wie diese sind selten, kommen aber immer wieder vor. Da ist der US-Schriftsteller Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“), der 1965 einer Anklage wegen Marihuana-Besitz entgehen will, sein Auto samt Abschiedsbrief an einer Klippe zurücklässt und nach Mexiko flüchtet. Oder der britische Betrüger John Darwin, der 2002 einen Kanu-Unfall vortäuscht, damit die Lebensversicherung an seine Frau (und ihn) geht. Oder – um sich geographisch Prigoschin zu nähern – Arkadi Babtschenko: Der russische Journalist initiiert mit dem ukrainischen Sicherheitsdienst 2018 seinen Mord als Teil einer verdeckten Operation zur Festnahme russischer Agenten. 24 Stunden später erscheint er auf einer Pressekonferenz.
Was die beschriebenen Fälle eint? Die Leute tauchten – gewollt oder nicht – wieder auf. Denn ganz zu verschwinden, vergessen zu werden oder zumindest ungesucht zu bleiben, bräuchte neben einem „glaubhaften“ Tod ohne offene Fragen den völligen Cut zum alten Leben. ,,Man müsste jeden Kontakt abbrechen, um nicht angreifbar zu sein“, erklärt uns eine ehemalige Assistentin einer österreichischen Berufs-Detektei, die ungenannt bleiben möchte. ,,Zumal man im Prinzip nicht die gesuchte Person selbst, sondern nach Kontaktpersonen sucht, die einen hinführen.“ Bei „Austria’s Most Wanted“ (Europol) Tibor Foco, der 1995 aus lebenslanger Haft wegen Mordes floh, ist das bis heute nicht gelungen.
Detektivarbeit als Knochenjob
Auch wenn es in Österreich viele „Ein-Mann-Unternehmen“ gibt, ist das aufwändige Aufspüren von Leuten allzu oft Teamarbeit. Meist geht’s um zivilrechtliche Fragen und Ansprüche der Auftraggeber. Es wird ermittelt, observiert, untergetauchte Schuldner und (Klein-)Kriminelle stehen ebenso im Fokus wie Ehepartner unter Betrugsverdacht oder von Angehörigen vermisste Personen.
„Wir nützen Suchmaschinen, machen Kl-gestützte Bilderabgleiche. Das Internet vergisst nicht.„
Berufsdetektiv Daniel Pöchhacker
Startpunkt der Ermittlungen sind meist öffentlich zugängliche Melderegister (ZMR in Österreich) und Datenbanken sowie Internetrecherchen, wie auch Daniel Pöchhacker von der seit 40 Jahren bestehenden Wiener Detektei Pöchhacker erklärt: ,,Wir nützen Suchmaschinen, machen Klgestützte Bilderabgleiche. Das Internet vergisst nicht. Programme können etwa Lichtbilder mit zufällig gemachten Fotos bei Touristenhotspots vergleichen und berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine nur im Hintergrund zu sehende Person die von uns gesuchte sein könnte.“
Zuerst werden möglichst viele Daten gesammelt, ,,ohne zu bewerten“, dann wird das Wesentliche herausgefiltert. Nahe Angehörige, Familie und Freunde sind oft die ersten Anlaufstellen. Pöchhacker berichtet von einem inzwischen gerichtsanhängigen Fall, für den er einen nicht mehr in Österreich gemeldeten Schuldner (60.000 Euro) ausfindig machen musste. Zuerst konnte er den Vornamen, dann den Mädchennamen von dessen Frau ermitteln. Ihr Facebook-Post „Unser Haus ist endlich fertig“, passenderweise samt Nennung von Land und Ort, führte letztlich zum Ziel.
Oft braucht’s Gespräche am ehemaligen Arbeitsplatz, im Heimat- oder früheren Aufenthaltsort des Gesuchten. ,„Auch der Wirt oder Postbeamte kann sachdienliche Hinweise liefern“, weiß Pöchhacker. Wie und wer ermittelt bzw. Leute befragt, ob mit fiktiver Identität oder ob ein Kollege oder eine Kollegin aus dem Team-Dutzend anrückt, wird im Zuge der Einsatztaktik besprochen: ,“Der Ermittler muss sich wohl fühlen und ins Ermittlungsumfeld passen. Wir brauchen eine Vertrauensbasis, müssen von Menschen ja oft höchst intime und persönliche Dinge erfahren.“
Hürdenreicher Weg ins neue Leben
Fakt ist: ,“Werden alle bisherigen sozialen Kontakte von der gesuchten Person gekappt, wird’s schwer.“ Vor allem, wenn die Person im Ausland untertaucht, die Pläne dazu keinem anvertraute. Pöchhacker erinnert an den Fall der Petra P. aus Braunschweig, die 1984 verschwand, vermeintlich Opfer eines Gewaltverbrechens wurde – um nach 31-jähriger Funkstille plötzlich in Düsseldorf aufzutauchen! ,“Durch Zufall, weil in ein Wohnhaus in ihrer Nachbarschaft eingebrochen wurde, die Polizei ihre Personalien aufnehmen wollte.“ Die Hintergründe, warum sie Vater, Mutter und Bruder als 24-jährige Studentin nach gründlicher Planung ohne Abschiedsbrief verließ, bleiben unklar. Wie sich aber herausstellt, übersiedelte die Frau im Lauf der Zeit von Stadt zu Stadt, immer mit falschem Namen, ohne Papiere, Bankkonto oder Versicherung. Jobs, die in bar bezahlt wurden, brachten das Geld.
Untergetauchte stehen vor zahlreichen Hürden. Abgesehen davon, dass auch in vielen anderen Ländern (An- und Ab-)Meldepflicht herrscht, bei Nicht-Einhalten Verwaltungsstrafen drohen, versiegt jeder staatliche Geldfluss. Es bräuchte einen neuen Pass und andere Dokumente. Illegal beschafft und auf einen anderen Namen ausgestellt, bedeutet Urkundenfälschung. Würde das eigene Ableben vorgegaukelt und jemand mit Versicherungs- oder Pensions-Zahlungen bedacht, wäre das Betrug. Nicht zu reden von den erschwerten Bedingungen durch das Zurücklassen von Bankornat- und Kreditkarten, Handy, Laptop und anderer digitaler Hilfsmittel, um nicht mehr ortbar zu sein.
Von Verfolgungswahn bis Gesichts-OP
Die Liste an Unwegsamkeiten ist kaum enden wollend. Noch gar nicht zu reden von den moralischen Dilemmata und psychischen Belastungen, wenn das vertraute Umfeld und geliebte Personen endgültig verlassen würden. „Menschen, die sich verstecken„, weiß Pöchhacker, „sind vor allem zu Beginn einem hohen Druck ausgesetzt, leiden unter Verfolgungswahn.“
Ob jemand seinen Tod tatsächlich vortäuschen und umgekehrt auch nicht mehr gefunden werden kann, liege letztlich an mehreren Faktoren: „Einerseits ist entscheidend, wer einen sucht, ob es vereinzelte Privatdetektive oder vielmehr staatliche Organisationen, international fungierende Geheimdienste etc. sind. Andererseits geht es darum, ob ein unbekannter Kleinverbrecher oder eine bekannte Person des öffentlichen Lebens gesucht wird. Letztlich kommt es darauf an, wo man unterschlüpft, ob es Auslieferungsabkommen mit dem Heimatland gibt – und welche Mittel zum Vortäuschen des Todes, zum Verschwinden und für das spätere Leben zur Verfügung stehen.“
Dass Prigoschin ausreichend Geld und Beziehungen haben könnte, um seinen Tod nur vorzutäuschen, kann sich Pöchhacker prinzipiell vorstellen. „Es bräuchte mächtige Unterstützer, Hilfe etwa von ausländischen Geheimdiensten. Das war bei Jan Marsalek wohl ähnlich.“ Der Wiener Detektiv vermutet, der per internationalem Haftbefehl gesuchte Ex-Wirecard-Vorstand könnte längst sein Aussehen geändert haben. Er wäre nicht der erste Verbrecher, der sich einer Gesichts-OP unterzog. Am Finanziellen wirds bei Marsalek, der dreistellige Millionenbeträge aus den Firmenkassen abzweigte, kaum scheitern.