Ladendiebe streifen jährlich 7,5 Mrd. S ein

Ladendiebe streifen jährlich 7,5 Mrd. S ein

Martha KARNER – Printausgabe vom 31.10.1998 – Wirtschaftsblatt |


Mehr als 25.000 Langfinger wurden im Vorjahr bei der Exekutive angezeigt – doch es wird nur jeder zehnte Ladendieb erwischt. Nicht nur Kunden stehlen, auch fünf bis zehn Prozent der Handelsangestellten greifen in Regale und Kassen.

Es gibt eine Branche in Österreich, die unabhängig von der Wirtschaftslage über steigende Umsätze jubelt: die zwielichtige Zunft der Ladendiebe. Im Vorjahr wurden mehr als 25.000 Kriminelle bei der Polizei wegen Ladendiebstahls angezeigt (siehe Grafik unten). Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. denn es wird geschätzt, daß weniger als zehn Prozent der Langfinger überhaupt erwischt werden, was noch lange nicht bedeutet, daß sie bei der Polizei auch angezeigt werden. Die Statistik jedoch erfaßt nur die angezeigten Ladendiebe.


Schaden: 7,5 Mrd. S
Der Schaden. den alle Langfinger insgesamt in den Geschäften anrichten, geht in die Milliardenhöhe. Die durchschnittlichen lnventurdifferenzen liegen abhängig von der jeweiligen Branche zwischen 0,5 und drei Prozent des Umsatzes. Roman Seeliger, stellvertretender Sektionsleiter für den Handel in der Wirtschaftskammer. „Rund 7,5 Milliarden Schilling gehen Österreichs Einzelhandelsgeschäften im Jahr durch Ladendiebstahl verloren.“

Eine Szene im Supermarkt ist typisch für das Vorgehen der Ladendiebe: Nach dem Passieren der Kasse werden ein Kind und dessen Mutter vom Kaufhausdetektiv aufgehalten. In der Schultasche des Kindes befinden sich mehrere im Geschäft gestohlene Artikel. Die Mutter reagiert fassungslos und schimpft bühnenreif mit dem „bösen“·Buben.

Was sie nicht erwartet ist, daß das Befüllen der Schultasche von einer Kamera aufgezeichnet wurde und es war zweifellos sie selbst, die das Diebsgut in den Kinderranzen gesteckt hat. Kein Einzelfall, weiß Detektiv Walter Pöchhacker zu berichten, dessen Mitarbeiter jedes Jahr rund 10.000 Ladendiebe ertappen. „Die Leute wissen, daß Kinder unter 14 Jahren nicht strafmündig sind und nutzen das manchmal schamlos aus.“


Jugendliche Diebe
Daß solche Eltern für ihre Kinder kein gutes Beispiel sind, versteht sich von selbst. Aber auch die Bagatelldelikte der Eltern animieren laut Pöchhacker die Kinder zum Stehlen:
„Wenn die Eltern am Sonntag die Zeitung fladern, dann sehen das die Kinder auch und folgen dem Beispiel vielleicht im nächsten Supermarkt.“ Das Ergebnis: Rund 20 Prozent der ertappten Ladendiebe sind minderjährig (siehe Grafik links unten).

Er ist daher der Ansicht, daß diese Delikte keinesfalls bagatellisiert werden dürfen: „Laut Paragraph 42 des Strafgesetzbuches kann derzeit bei mangelnder Strafwürdigkeit der Tat, die bei Ladendiebstahl oft gegeben ist, von einer Strafe abgesehen werden. Der Täter kommt dann weder ins Vorstrafenregister noch wird er mit einer Geldbuße bestraft.“


Bußgeld gefordert
Seeliger fordert daher, daß diese Bestimmung durch die Einführung eines Bußgeldsystems ersetzt wird, das einerseits die Gerichte entlasten würde, andererseits aber garantieren würde, daß jeder. der beim Klauen erwischt wird, auch tatsächlich bestraft wird. Dieses Bußgeldsystem sieht vor, daß der geständige Täter beim ersten Mal bereits vom Staatsanwalt zu einer unbedingten Bußgeldzahlung verpflichtet wird, jedoch nicht im Vorstrafenregister erfaßt wird. Sollte er aber innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein zweites Mal beim Klauen erwischt werden, sollten die Gerichte auf jeden Fall bemüht werden, damit der Ladendieb ins Vorstrafenregister aufgenommen wird und zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt wird.


Mitarbeiter stehlen
Seeliger schätzt, daß Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter zu je einem Drittel für die lnventurdifferenzen verantwortlich sind. Etwas anders sieht das Helmut Scharf, ehemaliger Prokurist bei Libro, der sich auf das Thema Ladendiebstahl mit der Gründung der Correcta GesmbH spezialisiert hat. Aufgrund der Auswertung verschiedener Statistiken und eigener Erfahrungen kommt der Schwund durch vier Faktoren zustande: Zu 40 Prozent sind Ladendiebe für den Schwund verantwortlich, 30 Prozent kommt durch Personaldiebstahl zustande, 20 Prozent resultiert aus organisatorischen Schwächen im Handelsbetrieb; die restlichen zehn Prozent schnappen sich klauende Lieferanten, Speditionen und Fremdpersonal.

„Rund fünf bis zehn Prozent der Handelsangestellten sind link“ schätzt Scharf. Die Gefahr dabei: Wenn die eigenen Mitarbeiter in die Regale und Kassen greifen, dann ist der Schaden für die Betriebe meist deftig. Detektiv Pöchhacker, der häufig von Unternehmen zu Rate gezogen wird, bei denen die Alarmglocken wegen zu hoher lnventurdifferenzen klingeln, hat Erfahrung mit klauendem Personal.


Rechnungen storniert
Er berichtet von einer Supermarkt-Filiale in Wien Simmering, in der vor drei Monaten die gesamte siebenköpfige Belegschaft entlassen wurde, weil sie gemeinsame Sache machten. Die Mitglieder des Teams steckten täglich ein paar Tausender in die eigenen Taschen. Die Tricks waren simpel: Es wurden Waren verkauft, die Rechnungen dafür aber storniert oder gar nicht ausgestellt. Produkte für den Eigenbedarf wurden mitgenommen, ohne daß dafür bezahlt wurde.

Pöchhacker weiß, daß nicht selten auch Mitarbeiter in Vertrauensstellungen lange Finger haben: „Der Fisch beginnt oft beim Kopf zu stinken. Filialleiter haben viel mehr Möglichkeiten als einfache Verkäuferinnen, in großem Ausmaß zu stehlen.“ Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Stunde nach Ladenschluß kommt der Filialleiter wieder zum Geschäft und sperrt seelenruhig auf um selbst „einkaufen“ zu gehen. Danach lieferte er die gestohlene Ware an diverse Auftraggeber aus.


Laufende Erhebungen
Eine der wichtigsten organisatorischen Maßnahmen, um Diebstahl schnell zu erkennen, ist die laufende Erhebung und Kontrolle des Warenbestands. Gibt es in einem Betrieb ein ‚gutes Lagerhaltungssystem, mit dem jederzeit festgestellt werden kann, ob etwas fehlt, können die beklauten Unternehmer relativ schnell feststellen, ob etwas nicht stimmt und dann entsprechende Maßnahmen setzen.


Lagerhaltung gefälscht
Wenn allerdings auch die Daten im Lagerbestandssystem gefälscht werden, dann kann der Schaden schnell in die Millionenhöhe gehen. Pöchhacker berichtet von einem Fall, bei dem Mitarbeiter eines Baumarkts lastwagenweise Baumaterial auf Baustellen schwarz verkauft haben. Allerdings: Der Lagerbestand war immer richtig und der Mitarbeiter, der im Lager den Computer mit den Daten der ein- und ausgehenden Waren fütterte, war grundehrlich. Er machte nur einen Fehler. Er ließ seinen Computer während der Mittagspause eingeschaltet.

Diese Zeit nutzten die Ganoven, um die gestohlenen Artikel als regulären Ausgang einzutippen. Da dadurch erst relativ spät bemerkt wurde, daß etwas schiefläuft, war der Schaden, der mit diesem Coup angerichtet wurde, groß: Baustoffe im Wert von 20 Millionen Schilling waren bei Auffliegen bereits aus dem Betrieb gekarrt.


Stehlende Kunden
Obwohl Mitarbeiterdiebstähle meist sehr hohe Schadenssummen nach sich ziehen, geht das Gros der in dunklen Kanälen verschwundenen Waren aber laut Correcta-Analyse auf Kundendiebstahl zurück.

Immer häufiger gehen organisierte Banden auf illegale „Einkaufstour“. Elektronische Diebstahlsicherungen werden profimäßig entfernt oder mit Alufolie abgedeckt, damit sie beim Verlassen des Geschäfts keinen Alarm auslösen. Danach kommen andere Diebe und klauen schnell und unauffällig die von den Kollegen vorbereiteten Stücke. Pöchhacker: „Bei den Profis ist das Personal hilflos.“ Werden die Diebe dennoch gestellt, passiert es immer häufiger, daß sie mit Gewalt entkommen wollen. Pöchhacker:.“Die Ladendiebe werden immer brutaler. Fünf bis zehn Prozent unserer Mitarbeiter sind im Krankenstand, weil sie von Dieben betoniert wurden.“ Beliebt bei den Langfingern – und daher akut diebstahlgefährdet – sind kleine und teure Artikel. Correcta-Chef Scharf erklärt: „Produktgruppen, die einfach am Schwarzmarkt wiederverkauft werden können, wie beispielsweise Parfums oder CD-ROM werden besonders häufig gestohlen. In diesen Warengruppen kann man mit einem Abgang von zehn bis 15 Prozent des Umsatzes durch Diebstahl rechnen.“


Handel gefährdet
Wenn ein Unternehmer aufgrund laufender Kontrolle des Warenbestands weiß, daß bei ihm gestohlen wird und welche Artikel am häufigsten ohne Bezahlung mitgenommen werden, hat er laut Correcta-Chef Scharf bereits viel getan: „Der Handel ist sich der Problematik zu hoher lnventurdifferenzen oft nicht bewußt. Die Unternehmer belügen sich lieber selbst und gestehen sich nicht ein, daß bei ihnen gestohlen wird. Vor allem Kleinbetriebe schauen jahrelang über lnventurdifferenzen von fünf bis sechs Prozent hinweg.“

Das kann in Zeiten steigenden Konkurrenzdrucks, in denen der Handel im harten nationalen und internationalen Wettbewerb mit immer geringeren Spannen agieren muß, dann schnell ans Eingemachte gehen.
Die wichtigste Maßnahme in den Bemühungen zur Senkung der lnventurdifferenzen sieht Scharf in der gründlichen Schulung der Mitarbeiter und in einer entsprechenden Motivation des Verkaufspersonals: „Der Anteil professioneller Kriminalität am gesamten Ladendiebstahl beträgt nur etwa fünf Prozent.
Das Gros der Ladendiebe sind Gelegenheitsdiebe oder sogar Stammkunden, die man durch simple psychologische Maßnahmen relativ einfach von ihrem Vorhaben abhalten kann.“
Ein freundlicher Blickkontakt, eine entgegenkommende Begrüßung oder ein hilfreiches Fragen nach den Wünschen des Kunden, haben zur Folge, daß sich ein Ladendieb beobachtet fühlt. Er läßt dann vielleicht von seinem Vorhaben ab.


DIE TRICKS DER LADENDIEBE

08/15 Methode: Die Ware verschwindet in der Einkaufstasche oder in großen Mantel- oder Jackentaschen, simple Methode wird am häufigsten angewendet.

Alt gegen Neu: Wird oft in Schuhgeschäften angewendet, wo das Geschäft mit neuen Schuhen an den Füßen verlassen wird, während die alten im Regal zurückgelassen werden.

Etiketten tauschen: Preisetiketten werden so vertauscht, daß aus teuren Artikeln billige wer­
den. Werden die Preise auf Flaschenverschlüsse oder Verschlüssen von ähnlichen Behältern aufgedruckt und sind somit nicht so einfach zu entfernen, so tauschen die Diebe oft die gesamten Verschlüsse, um für die teure Ware an der Kasse weniger zu bezahlen.

Weißmacher-Trick: Neue Ware wird im Geschäft präpariert, um den Eindruck zu erwecken, sie sei bereits mitgebracht worden. So wird in die Taschen einer gestohlenen Jacke beispielsweise Schlüsselbund und eine angebrochene Zigarettenpackung gesteckt.

Umpacken: Der Dieb packt in den Oberkarton einer billigen Ware ein teures Produkt.

Gebrauchte Kassenbons: An der Kasse liegengelassene Kassenbons werden vor allem im Lebensmittelbereich von Dieben als Einkaufszettel benutzt. Er packt die darauf eingetippten Waren in seine Tasche. Zur Tarnung wird noch ein zusätzliches kleines Teil gekauft, das er vorher „vergessen hatte“. An der Kasse wird nur noch das neue TeiI bezahlt und der Kassenbon als Legitimation für die anderen Waren vorgelegt

Kinderwagen- und Schultaschentrick: Die gestohlene Ware wird bei einem Kind verstaut, zum Beispiel im Kinderwagen oder in der Schultasche. Die Ausrede des Ladendiebs, daß das Kind das selbst eingesteckt hat, erschwert die Beweislage, weil Minderjährige nicht strafbar sind.

Kaugummitrick: Dieser Trick ist aus der Schmuckbranche bekannt. Mit einem Kaugummi wird das Stück an der Vorderseite der Theke befestigt und von einem Komplizen des Ladendiebes, der während des Verkaufsgespräches das Geschäft betritt und um eine Auskunft bittet, entfernt und mitgenommen.

Ablenkung: Bei diesem Trick arbeiten zumindest zwei Personen zusammen. Während der eine das Verkaufspersonal ablenkt, stiehlt der andere.

Klaukoffertrick: Ein als Geschenk präparierter hohler Karton wird in einer Tasche ins Geschäft mitgebracht. Das Band der Geschenkverpackung umschließt den Karton augenscheinlich fest. In Wirklichkeit befindet sich an der Oberseile des Kartons ein Klappdeckel, durch den das Diebsgut in den Karton hineingesteckt wird.

Handtasche mit Schlitz: Ladendiebe verwenden manchmal Handtaschen, die im Boden einen Schlitz haben. Die Tasche wird auf den Warenberg gestellt und der Dieb täuscht vor, darin herumzukramen. In Wirklichkeit zieht er den Artikel, den er stehlen will, durch den Schlitz in die Tasche.

Frechheit: Die Ware wird offen vom Ladendieb an sich genommen, nirgends verborgen und offen hinausgetragen. Wird der Dieb gestellt, entschuldigt er sich damit. auf das Bezahlen·ganz vergessen zu haben. Das kann mit Hüten passieren, die gleich aufgesetzt werden, mit Sonnenbrillen, mit Taschen oder Koffern und Kleidungsstücken.

Hohle Böden: Gestohlene Artikel werden mit Doppelklebeband in Hohlräume geklebt.

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